Content is Queen: warum und wie richtig gendern?
14.04.2022
Wie hältst du es mit dem Gendern?
Lehnst du die ganze Debatte ab, nervt sie dich teilweise bis extrem?
Oder findest du sie wichtig?
Bemühst du dich in deinen Texten um genderneutrale Sprache – und fühlst dich manchmal überfordert?
Vielleicht denkst du, dass dein Schreibstil darunter leidet.
Oder dass Gendern so viel bringt wie heimlich einen hässlichen alten BH zu verbrennen.
Vielleicht fragst du dich, was es überhaupt bewirken soll.
Egal, wo du gerade stehst – lass mich dich dort abholen und dir in diesem Artikel näherbringen:
- warum das generische Maskulinum ausgedient hat,
- welche Chancen dagegen das Gendern bietet,
- was für eine Vielfalt an Möglichkeiten du hast, alle Geschlechter anzusprechen –
- und zwar stilvoll, gut lesbar (statt “leser- und leserinnenfreundlich”) und passend zu dir und deiner Zielgruppe!
Warum gendern?
Weil das generische Maskulinum NICHT alle anspricht.
Bei einem Autounfall werden ein fünfjähriger Junge und sein Vater schwer verletzt.
Beide kommen in die Notaufnahme und sollen sofort operiert werden.
Im OP-Saal des kleinen Jungen wartet man ewig auf den Chirurgen.
Als der endlich hereinkommt, sieht er geschockt auf den OP-Tisch und sagt: “Oh Gott, das ist mein Sohn!”
Wait, whaaat?
Nochmal langsam.
Der Vater war auch in den Unfall verwickelt – und wird in einem anderen Saal operiert.
Wie kann der kleine Junge dann der Sohn des Chirurgs sein?
Nun, ganz einfach eigentlich: Der Chirurg ist die Mutter.
Ich habe das generische Maskulinum verwendet – bei dem es oft heißt, Frauen und alle Geschlechter seien “mitgemeint”.
Nur ist das mit dem “Mitmeinen” eine blöde Sache.
Denn bei Kommunikation geht es nicht nur darum, was ich sage – sondern vor allem darum, was bei dir ankommt.
Und höchstwahrscheinlich denkst du zuerst an einen Mann, wenn du “der Chirurg” hörst, oder?
Ja, ich fühle mich schon “mitgemeint”, wenn die Rede von Textern ist.
Aber: Viele Menschen tun das nicht!
Und auf diese Menschen will ich eingehen – schließlich hocke ich nicht in einem Elfenbeinturm (habe Höhenangst).
Weil dein Text klar und verständlich bleibt.
Ja, ich gebe es zu: Ich habe dieses Gendern anfangs auch so skeptisch beäugt wie meine dreijährige Nichte einen Teller Gemüseauflauf.
Denn: Ich lege Wert auf einen guten, klaren, verständlichen Schreibstil.
Und ich erlebe, dass viele das Gendern ablehnen, weil sie ihren guten Stil gefährdet sehen.
Inzwischen habe ich gemerkt: Das eine hat mit dem anderen nur bedingt zu tun.
Du kannst gut und richtig gendern – und deine Leser:innen verstehen dich trotzdem. Eine Studie legt nahe, dass der Gebrauch von gendergerechter Sprache das Textverständnis nicht stört. (Dafür hat ein solcher Text den Vorteil, gendergerecht zu sein. ☺️)
Umgekehrt kannst du, wie Daniela Rorig in ihrem Buch Texten können dir bestätigt, “auch ohne Gendern holprig schreiben” (S. 127).
Einem Teil der Leute, die sich um ihren Stil sorgen, kann ich also beruhigend zuraunen: “Keine Sorge, wenn du einen guten Schreibstil hast, leidet er auch nicht unter gendergerechter Sprache!”
Dem anderen (vermutlich wesentlich größeren) Teil sage ich: “Du, wenn deine Schreibe bescheiden ist, kommt es aufs Gendern auch nicht mehr an.”
Außerdem geht es beim Gendern um viel mehr als einen guten Stil…
Weil Sprache Denken verändert.
… Es geht darum, mit Sprache das Denken zu verändern.
Ja, das geht – habe ich schon in meinem Artikel zu positiven Formulierungen erzählt:
Es macht was mit Kindern, wenn sie immer “die Krankenschwester” und “der Chefarzt” hören – oder eben geschlechtergerechte Begriffe. In letzterem Fall trauen sich z. B. Mädchen laut einer Studie der FU Berlin eher zu, selbst einen “typisch männlichen” Beruf zu ergreifen.
Die Frage, worum es beim Gendern eigentlich geht (denn das fragen sich heute noch viele), würde ich daher so beantworten:
Um Gleichberechtigung.
Darum, auch die Frau sprachlich sichtbar zu machen. Und alle, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen.
Das Gendern halte ich hier für einen Schritt in die richtige Richtung – auch wenn danach noch viele Schritte folgen.
Nur: Wie zum teuflischen Wesen geht das?
Gendern – Möglichkeiten
Beim Gendern gibt es so vielfältige Möglichkeiten wie Menschen.
Das kann verunsichern, vor allem aber bereichern!
Daher will ich dir einen Überblick mit den jeweiligen Vor- und Nachteilen geben.
Generisches Femininum
Wenn man jahrhundertelang das generische Maskulinum verwendet hat, kann frau doch jetzt konsequent das Femininum nehmen!?
Hm … Hier gibt es genauso wenig schwarz-weiß wie in unserer Bevölkerung.
Das generische Femininum interpretiert man(n) gerne als Trotzreaktion – oft heißt es, das wäre doch jetzt genauso unfair wie das Maskulinum.
Kann ich nachvollziehen – ich finde es nur schade, wenn Frauen das sagen, weil sie die Männer nicht benachteiligen wollen. Wäre das mal umgekehrt so …
Ich denke, du kannst je nach Situation völlig legitim das Femininum nutzen, insbesondere natürlich bei einer vorwiegend weiblichen Zielgruppe.
Binnen-I
Eine optische Nähe zum Femininum bietet das Binnen-I (KundInnen).
Ich finde es aus zwei Gründen suboptimal:
- Es ist binär, inkludiert also nur Cis-Männer und -Frauen.
- Es kann grammatikalische Probleme bereiten – z. B. bei der Verbindung von “Arzt” und “Ärztin”. Denn: Das Wort muss sowohl vor dem Binnen-I einen Sinn ergeben als auch insgesamt – und weder “Ärzt” noch “Arztin” ist korrektes Deutsch.
Schrägstrich
Seit längerem weiter verbreitet als Einhörner auf Kinderkleidung: der Schrägstrich, bzw. der/die Schrägstrich/in.
Hier gerätst du auf ähnliche Weise an die Grenzen der Grammatik und Geschlechter wie beim Binnen-I.
Nach meiner Erfahrung liest sich diese Form auch eher holprig: “Wir suchen eine/n Texter/in, der/die sich im Beauty-Bereich auskennt und mit dem/der wir lange zusammenarbeiten können. Er/sie soll bitte seine/n/ihre/n Wortpreis/Stundensatz/Pauschalpreis und Referenzen angeben.”
Paarform
Bei “Arzt und Ärztin” bestehst du die Grammatik-Prüfung – allerdings sprichst du auch hier nur Cisgender an.
Außerdem ist mir persönlich das zu umständlich, liebe Leserinnen und Leser – da mag ich es einfach zu gerne kurz und knackig.
Andererseits ist die Paarform insbesondere bei einem älteren, konservativen Publikum beliebt, das sich langsam an eine gerechtere Sprache herantasten will. Für den Start und je nach Zielgruppe daher nicht zu verachten.
Für Fortgeschrittene tauchen wir noch tiefer in die Welt der Sonderzeichen ein!
Gendern mit Unterstrich
“Ärzt_innen” spricht alle Geschlechter an, spart Platz – und gibt wieder Ärger im Deutschunterricht.
Außerdem kritisieren laut einer Studie des rheingold Instituts viele, dass der Unterstrich die Gender Gap visualisiert – und damit eher auf sie hinweist als sie verschwinden lässt.
Gendern mit Sternchen
Das Sternchen dagegen (auch als Asterisk bekannt) zeigt in alle Richtungen und steht in der Computersprache für eine beliebige Kombination von Buchstaben. Mag ich!
Was ich weniger mag: Schreibweisen wie “Frauen*”. Was soll das andeuten? Dass sich damit auch Trans-Frauen angesprochen fühlen sollen – und damit nicht von “Frauen”, weil sie keine “richtigen” Frauen sind?
Und auch diese Schreibweise empfehlen Ärzt*innen nur eingeschränkt.
Gendern mit Doppelpunkt
Wenn du meine Texte aufmerksam verfolgst, weißt du, dass ich gerne den Doppelpunkt verwende.
Warum? Genau wie die beiden vorigen Sonderzeichen spricht er alle an, spart Platz – und fügt sich auch noch dezent in das Wort ein. In meinen Augen gewinnt er damit den Style-Contest gegen das Sternchen, zumal er dadurch die männliche Form und die folgende Lücke weniger betont – und gut lesbar (auch vorlesbar von Sprachassistent:innen) ist.
Du solltest nur wissen, dass die queere Community diese Schreibweise nicht selbst entwickelt hat.
Und auch hier kriegt die Germanistik-Professur bei “Ärzt:innen” natürlich Ausschlag.
Du siehst – wir brauchen mehr Möglichkeiten!
Verzicht auf Possessivpronomen
Kurz und einfach: statt geschlechtsspezifischem Pronomen (sein Workbook) einen Artikel (das Workbook) verwenden.
Genderneutrale Ansprache
Das Potenzial an neutralen Formen hat mich bei der Recherche zu diesem Artikel vom Schreibtischstuhl gehauen:
- Interessierte
- Studierende
- Publikum
- Community
- Zielgruppe
- Menschen
- Leute
- Personal (statt Mitarbeiter)
- Aktive (statt Akteure)
- Waghals (statt Abenteurer)
- Badeaufsicht (statt -meister)
- Ehemalige (statt Alumni – eh so ein steifes Fremdwort)
- …
Mehr solcher Alternativen (auch für Wendungen, die uns kaum auffallen) findest du im Genderwörterbuch:
Klar: Es gibt auch Beispiele – insbesondere mit Partizipien –, die ich haarsträubend finde. (Apropos: Heißen Friseure jetzt Haarpflegende?)
Meine Handhabe: in Maßen einsetzen, wenn die Schreibweise mit Sonderzeichen an ihre Grenzen stößt.
Allerdings gibt es auch keine “Ärztenden” – wie lösen wir das?
Geschlechtergerechte Verteilung
Ich mache das gerne, indem ich männliche und weibliche Formen gerecht aufteile – und zwar ohne Stereotype fortzuschreiben!
Also: die Chefärztin, der Patient, die Informatikerin, der Erzieher…
Grammatikalisch einwandfrei und noch dazu ausgewogen, gut lesbar und platzsparend.
Nur wieder binär. Daher mische ich auch das nur bei Bedarf hinzu.
Adjektive
Eine weitere lupenreine und sogar non-binäre Lösung für schwere Fälle der deutschen Sprache: Adjektive!
Der Arzt rät… -> Der ärztliche Rat lautet…
Direkte Ansprache
Deine Lesenden direkt ansprechen? Immer eine gute Idee!
Allein, weil sie in deinen Texten die Hauptrolle spielen und du aus ihrer Perspektive schreiben solltest, um ihre Emotionen zu wecken.
Meine Kunden bekommen bei mir… -> Du bekommst bei mir…
Wenn du so dann auch noch eine genderneutrale Ansprache rausholst, stopfst du zwei Löcher mit einem Faden.
Passiv formulieren (Vorsicht, tödlich!)
Manche Menschen nutzen auch passive Konstruktionen, um ein handelndes Subjekt einzusparen – das empfehle ich nur sehr eingeschränkt.
Denn: Einen aktiven Schreibstil für kurzweilige Texte halte ich für wichtiger als die Erdbeeren fürs Vanilleeis.
Auch hier gilt: nur in Maßen, wenn andere Möglichkeiten dich verlassen. (In einem Text von 2.000 Wörtern lasse ich bis zu drei passive Sätze durchgehen.)
Und wie jetzt richtig gendern?
Denkst du nach dieser Fülle an Möglichkeiten, die alle ihre Herausforderungen, Vor- und Nachteile haben, dass “richtig” gendern kaum geht?
Ich würde es verstehen.
Denn klar: Es gibt nicht die eine “richtige” Art zu gendern.
Warum auch?
Es gibt doch auch so viele verschiedene, wunderschöne Menschen auf dieser Welt.
Das muss sich auch in der Sprache niederschlagen.
Und das braucht einfach Zeit.
Nimm dir diese Zeit, dich und deinen Stil zu entwickeln.
Lerne dich und deine Zielgruppe kennen: Womit fühlt ihr euch gleichermaßen wohl?
Und, ganz wichtig: Geh entspannt, flexibel und mit dem nötigen Humor an die Sache ran. (Gilt für viele Situationen und beim Gendern besonders.)
Es kommt laut der rheingold-Studie “jetzt besonders auf das richtige Maß und den richtigen Kontext” an. Krampfhaftes, aggressives Gendern vertieft eher noch die gesellschaftlichen Gräben, die wir doch eigentlich überwinden wollen.
Insbesondere im schriftlichen und offiziellen Kontext bewertet die Mehrheit der Teilnehmenden dieser Studie das Gendern als wichtiges Zeichen des Respekts. (In der mündlichen Kommunikation, insbesondere im Privaten, sehen das nur 26% so.)
Ich habe für mich einen Mix gefunden – aus Doppelpunkt, neutralen Formen, Rollenverteilung und direkter Ansprache. Und gehe (wie immer) auch mal humorvoll und locker damit um.
Ich kann dich nur dazu einladen, ebenfalls deinen persönlichen Weg und Umgang damit zu finden! ☺️
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